
Kaum auszuhalten/da kann man gar nicht hinschauen/das kann doch gar nicht gutgehen. Das sind drei Dinge, die einem durch den Kopf schießen, wenn Daniel Craig/Tom Cruise/Sylvester Stallone am kleinen Finger/zerrissenen Hosenbein/letzten Kabel von der Klippe/der Aussichtsplattform/dem Dach des Haifischbeckens hängen. Cliffhanger, eben.
Was Hollywood und so ziemlich jeder Drehbuchautor jeder Serie ohne Gnade und Ausnahme einsetzen, ist in der Musik längst nicht so üblich. Popsongs müssen bei Sekunde 30 beim Refrain angelangt sein, sonst zuckt der Spotify-Finger des Hörers. Für Verzögerungstaktiken (Tiny Dancer von Elton John wäre da ein Beispiel, aber halt aus den 70ern) ist längst kein Platz mehr.
Wie ein Cliffhanger im Jazz aussieht, dafür liefert Pat Martino das Paradebeispiel. Der in jeder Hinsicht außergewöhnliche Gitarrist, der nach einer Hirn-OP auf dem Höhepunkt seiner Karriere 1980 das Gitarrenspiel ganz neu lernen musste, und der 2021 leider verstorben ist, hat mit dem wohl längsten Lick aller Zeiten Geschichte geschrieben. Rund eine Minute lang (!) wiederholt er die Tonfolge über fast unzählige Takte hinweg, während die Band der Songstruktur folgt. Und was denkt der geneigte Zuhörer und -schauer? Das kann doch nicht gutgehen…
Der Song ist übrigens „Sunny“ von Bobby Hebb, von dem es laut Wikipedia über 170 Coverversionen von Manfred Mann über Stevie Wonder bis Ella Fitzgerald gibt – und der in Deutschland besonders in einer Version bekannt wurde: der von Boney M. Da spielt also der Jazz-„Gott“ Pat Martino ein Cliffhanger-Lick auf eine Melodie, die die meisten nur von einer Disco-Band aus den 70ern kennen.
Womit geklärt wäre, warum das hier auf Fusionrevival genau am richtigen Fleck besprochen wird. Reinhören, Ihr Jazz- und Discofreaks!
Kommentar verfassen