Kein Würde, keine Gnade

Nostalgie ist doch was Schönes. In einer Art gefilterten Erinnerung, mit dem Weichzeichner des Verzeihens werden auch Gruseligkeiten der Vergangenheit zu erinnerungswürdigen Perlen. Klar – das selbst Miterlebte schafft einen Mehrwert, den objektive Kriterien nicht übertrumpfen können. Das führt zum Beispiel zur grotesken Situation, dass heute mehr mürbe Ford Taunus in Förstergrünmetallic in pflegende Sammlerhänden landen als Ford T-Modelle – obwohl die „Tin Lizzie“ historisch unbestritten viel wertvoller ist. Oder dass unter dem Decknamen „Ostalgie“ Konsum- und Verbrauchsgüter der DDR verherrlicht werden, die es, im Licht der verstrichenen Jahrzehnte besehen, nicht wirklich verdient haben – Stichwort: Mitropa-Geschirr.

(Copyright: Heike Rochlitz)

Auch im Falle von Pop- und Rockmusik greift der Mechanismus. So gilt heute fast alles, was Eric Clapton je aus der Gitarre gewrungen hat, als Opus Magnum. Was rational gesehen völliger Unsinn ist. Wann haben Sie zum letzten Mal ein ganzes Album von Cream durchgehört? Das geht nicht ohne eine vergleichbare Dosis der Narkotika, die die Herren Clapton, Bruce und Baker auch konsumiert haben. Ähnliches gilt für fast alle Punk-Scheiben. Oder für Euro-Disco aus den 90ern – nur dass es da andere Drogen waren und sich die Protagonisten aus gutem Grund im Hintergrund gehalten und ein paar Hampelfrauen und -männer auf die Bühne geschickt haben. Oder die Neue Deutsche Welle: Zur Schau getragener Dilettantismus, im Kontrast zum damals vorherrschenden bierernsten Establishment lustig, mehr aber auch nicht. (Ausnahmen bestätigen die Regel.)

Und trotzdem haben diese und andere Merkwürdigkeiten der Musik ihre eisernen Anhänger, obwohl es parallel zu jederzeit auch Musiker gab, die viel mehr drauf hatten als die „Acts“ (ok, Clapton und Co. waren immerhin virtuos), und objektiv viel mehr Zeug zum Klassiker haben.

Bei Fusion Jazz gibt es diese Gnade der weichzeichnenden Erinnerung nicht. Gut, manche der frühen Genre-Klassiker („Bitches Brew“, Mahavishnu Orchestra) sind fast genauso schmerzhaft wie Cream (wenn auch nicht toxisch wie Dr. Alban). Aber spätestens die Alben der 80er-Jahre sind ohne Würde gealtert – und das bestreiten nicht mal selbst alternde Fans von damals. Nehmen wir Lee Ritenour – ein gutes Beispiel, weil er schon in den 70ern als Fast-noch-Teenager dabei war und bis heute eigene Platten produziert. In besagten 70ern waren die Ritenour-Veröffentlichungen manchmal wild (siehe sein Beitrag zu Alphonse Mouzons „Brain Transplant“), manchmal bemüht („First Course“), manchmal ein wenig anbiedernd („Captain Fingers“) – aber nicht langweilig. Das liegt auch daran, dass er sich nicht mit produktionstechnischen Spielereien aufhielt. In den 80ern ändert sich das. Synthesizer waren ein „Must“, inklusive digital verfremdeter Gitarren und Co. Erinnert sich noch jemand an das „Electronic Wind Instrument“ – eine Art Sax-Synthesizer zum Reinpusten? Eben…

Das Ergebnis: Diese Alben klingen heute nicht mehr nostalgisch, sondern nur noch schmerzhaft antiquiert. Entsetzlich langweilig, flach. Nichts, aber auch gar nichts verhakt sich in den Gehörgängen, alles plätschert vorbei, und eigentlich wäre Stille deutlich wertvoller.

Zum Vergessen: Lee Ritenours „On The Line

Wer also erstmals in Fusion-Jazz reinhören möchte: Bitte die Jahrgänge 82-88 meiden. Wer Scheiben aus diesen Jahren im Regal stehen hat, kann diese Staubfänger ohne schlechtes gewissen verflohmarkten oder ver-Momox-en. Dann ist wieder mehr Platz fürs Mitropa-Service.

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