Fusion ohne Synthesizer? Das ist wie Crème Brulée ohne Zuckerkruste. Letzteres ist einbanaler Vanillepudding, ersteres langweiliges Easy-Listening-Gedudel.
Aber auch mit Synthesizer wird Fusion nicht automatisch zur Schlemmerorgie. Zu selten halten sich Keyboarder auf dem schmalen Grat zwischen Kitsch und Kunst von den Abgründen fern. Meistens sind es die, die sich Schräges trauen. Herbie Hancock natürlich, George Duke, ohne Frage, oder auch Bobby Lyle.
Und genau dieser Bobby Lyle hat sich etwas getraut: Fusion mit Flügel statt Synthesizer. „Night Breeze“ heißt das Album, und das gleichnamige Titelstück ist eine echte Mut- und Talentprobe. Denn die bekannteste Version von Ronnie Laws ist eine Synthesizerorgie, verziert mit Saxophon. Lyle spielt es mit einem Trio. Trio! Konzertflügel, Bass und Schlagzeug. Normalerweise müssen dabei riesige Lücken im Klangteppich entstehen. Aber die drei überspielen die Löcher.
OK, es sind keine Allerweltsmusiker: Neben Lyle, zweifellos einem der „hidden champions“ der Tasten, standen Stanley Clarke und Alex Acuna im Studio. Clarke, hier mit E-Bass, braucht wohl keine weitere Vorstellung. Acuna wurde mit Weather Report bekannt (ja, genau: „Birdland“).
Das Experiment gelingt, weil jeder der drei das maximale Klangvolumen aus seinem Instrument holt. Allein das Intro spricht Bände. Anhören!
Übrigens: Das Original stammt von Lyle selbst, nicht von Ronnie Laws. Zu hören auf seinem Album „The Genie“. MIT Synthesizer.
(Kleiner Nachtrag: Das Album wurde live im Studio eingespielt. Das wurde in den 80ern gerne gemacht, um die „klangverrückte“ japanische Audiophilen-Szene zu bedienen. Hier allerdings sind die Tonmeister weit übers Ziel hinausgeschossen: Die Aufnahme klingt so hart und scharf, dass es weh tut. Und wer – wie ich – die Vinylpressung besitzt, darf sich über einen ganz besonderen Lapsus der Techniker „freuen“: Seite B, samt „Night Breeze“ – ist komplett in Mono (!) gepresst.)
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